Wir machen einen Ausflug in die Krimi-Stadt Ystad und wandeln auf den Spuren von Kommissar Wallander. Danach besuchen wir Ales Stenar, das Stonehenge Schwedens. Am Fuß des Hügels stoßen wir endlich auf eine Touristenmeile und versuchen unser Glück bei der Aaltombola. Der Aufstieg zum Steinkreis wird für mich zur Grenzerfahrung.

Mit großen Erwartungen fahren wir von Trelleborg aus ostwärts für einen Tagesausflug nach Ystad. Ins Navi haben wir ‚Mariagatan 10‘ eingegeben, die Adresse von Kurt Wallander, dem berühmten schwedischen Krimihelden aus der Feder von Henning Mankell.

Wir spekulieren, ob das Haus einen augenzwinkernden Bezug zu den Büchern für uns bereithält, etwa ein zusätzliches Klingelschild für den Kommissar. Vielleicht steht da aber auch ein kleiner Schrein, eine Statue oder ein Souvenirladen? Denkste!

Es ist kein Unterschied zwischen der Nummer 10 und den anderen Häusern der Straße ersichtlich, kein Indiz weist auf den prominenten fiktiven Bewohner des Hauses hin. Die Schweden scheinen echt keinen Hang zur touristischen Vermarktung ihrer Heimat zu haben.

Wir zucken mit den Schultern und begeben uns in die Innenstadt, denn laut Reiseführer hat Ystad, die Stadt der Rosen, auch neben Wallander einiges zu bieten. Wir schlendern durch die Gassen und bewundern die schmucken kleinen Häuser, von denen tatsächlich viele einen blumengeschmückten Torbogen oder Rosenbüsche an der Fassade präsentieren.

Am frühen Nachmittag suchen wir ein Rolli-WC und lernen dabei eine weniger attraktive Seite der Stadt kennen: Manche Straßen wirken leicht schmuddelig, andere geradezu heruntergekommen, und die Modernisierung scheint in diesen Vierteln ein ferner Traum zu sein. Als wir sowas wie ein Rolli-WC finden, sieht sein Eingang so aus:

Ich wäre sogar für das Abenteuer zu begeistern, ob ich reinfahren könnte, ohne den Kopf zu stoßen. Aber der Euro-Key passt nicht ins Schloss und der Handschalter funktioniert ebenfalls nicht. Wir spazieren weiter zum Hauptbahnhof, doch dort ist das Rolli-WC außer Betrieb – der Zettel ist über zwei Monate alt. Also erledige ich mein Geschäft in einem kleinen Wartesaal hinter dem Rücken der Pendler, die draußen vor dem Saal auf einer sonnigen Bank sitzen.

Wir essen in einem Restaurant, dessen Konzept uns typisch schwedisch vorkommt: Man setzt sich, lädt eine App herunter, studiert die Speisekarte auf dem Handy und bestellt per Knopfdruck. Mit einem Klingelton wird man darauf aufmerksam gemacht, wenn man das Essen an der Theke abholen kann. Bezahlen muss man natürlich auch via Handy, und somit ist von A bis Z keinerlei menschliche Interaktion nötig.

Mitte Nachmittag verlassen wir Ystad und fahren ins nahegelegene Kåseberga, ein Küstendorf, das vor allem für den historischen Steinkreis bekannt ist. Und, tadaa: Wir stoßen endlich auf eine Prise Tourismus! Am Fuß des Hügels liegen Souvenirläden und Restaurants, und eine Reisecar-Gruppe aus Asien wuselt ebenfalls über die Promenade. Den Höhepunkt der Touristenmeile bildet zweifelsfrei die Aaltombola:

Nach dem Studium der Gewinnliste sind wir uns einig: Den Aal möchten wir lieber nicht gewinnen – aber hey, die Toblerone wäre doch was! Wir kaufen zehn Lose und öffnen zehn Nieten. Irgendwo zwischen enttäuscht und erleichtert ziehen wir von dannen.

Wir stürmen einen Souvenir-Shop und entladen den aufgestauten Kaufdrang. Als wir die Taschen gefüllt und die Portmonees geleert haben, kommen wir mit der Verkäuferin Marleen ins Gespräch. Marleen fragt uns über das Reisen mit Rollstuhl aus und ist besonders an Flows Rolle als Assistent interessiert. Sie erzählt uns, sie habe eine gute Freundin, die ein Opfer des Contergan-Skandals ist: Sie wurde ohne Arme und Beine geboren.

Diese Freundin flog einst mit einer Assistentin für zwei Wochen Urlaub nach Ibiza. Am dritten Tag reiste die junge Assistentin jedoch unvermittelt ab, ohne Bescheid zu sagen, ohne Erklärung. Schnüpi, Flow und ich tauschen geschockte Blicke, als wir uns vorstellen, wie es sein muss, ohne Arme und Beine in einem fremden Land auf sich alleine gestellt zu sein.

Um fünf Uhr wagen wir uns an den Aufstieg zum Steinkreis. Als mein Rollstuhl den Steilhang erklommen hat, weist uns ein Schild den Weg: nur noch 500 Meter bis zum Steinkreis! Wir glauben schon, wir hätten das Schwierigste hinter uns, doch für diese 500 Meter brauchen wir am Ende 45 Minuten. Grober Kies, dann schiefe Wiese, dann steiniger Trampelpfad stellen meine Zähigkeit arg auf die Probe. Und als wir fast da sind, stellt mich ein Weiderost, der Kühe und Schafe am Davonlaufen hindern soll, vor eine letzte Prüfung:

Ich gehe tief in mich und sammle Kraft, um über das schmale Eisengitter zu fahren, das exakt so breit ist, wie mein Radstand. Als Schnüpi mir verspricht, sie gebe eine Portion ‚varmrökt lax‘ aus, wenn wir wieder unten sind, überwinde ich mich todesmutig.

Nur wenige Touristen sind noch oben, als wir es endlich geschafft haben. Das ist ein klares Plus, denn die mythische Stimmung des alten Steinkreises kommt dadurch umso stärker zur Geltung. Und die Aussicht entschädigt für all die Mühen auf dem Weg:

Die Steine sind in der Form einer spitz zulaufenden Ellipse aufgestellt, was von Historikern als der Grundriss eines Schiffes interpretiert wird. Der Steinkreis diente einst Seefahrern zur Orientierung, da er vom Meer aus von weitem sichtbar ist. Gelehrte konnten außerdem anhand der hinter den Steinen aufgehenden Sonne einen Kalender führen.

Wir machen uns als Letzte an den Abstieg. Wieder brauchen wir für die kurze Distanz 45 Minuten. „Ich kann den Lachs schon riechen“, rufe ich in der letzten Biegung, doch als wir um 18:40 Uhr die Touri-Meile erreichen, liegt die Promenade verlassen vor uns. Die Shops sind verrammelt, die Restaurants haben ihre Menütafeln weggeräumt, und auf dem Parkfeld steht einsam unser grüner VW Caddy. Kein Lachs zur Belohnung!

Assistenz im Urlaub

Die wichtigste Entscheidung, die ein Rollifahrer für den Urlaub fällen muss, ist, wen er als persönliche Assistenz mitnimmt. Marleens Freundin, die in Ibiza alleine gelassen wurde, hatte eine Unbekannte über eine Arbeitsvermittlung engagiert. Dies birgt große Risiken und hat für sie damit geendet, dass sie ihre Reise abbrechen musste.

Die Urlaubsbegleitung sollte jemand sein, dem man vertraut, und mit dem man Spaß hat. Vor allem aber sollte es jemand sein, der die Reise nicht nur als Arbeit versteht. Wenn nicht alle Reisenden dazu bereit sind, in Ferienstimmung zu kommen, schlägt das irgendwann auf die Moral.

Es ist wichtig, der Assistenzperson genügend Pausen zur Erholung einzuräumen, denn rund-um-die-Uhr-Betreuung kann niemand ewig leisten. Wenn die Pflege sehr aufwändig ist, sollte man sich überlegen, eine zweite Assistenzperson mitzunehmen, damit sich die beiden abwechseln können.

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