Der dritte Tag beginnt mit einem Aufreger: Die Rückenlehne des Rollis bockt. Eine Panne kannst du dir in den Ferien nicht leisten, denn passende Ersatzteile und kundige Mechaniker findest du nicht an jeder Ecke. Die Lehne lässt sich ordentlich hofieren, bis sie doch noch Dienst nach Vorschrift leistet. Doch die echten Härtetests für mich und meinen Rollstuhl werden erst noch folgen.
Wir stehen beschwingt und ohne Kater auf, Sprudelwasser sei Dank! Der dritte Tag ist der erste unserer Reise, an dem wir nicht ins Auto steigen müssen, und entsprechend haben wir uns viel vorgenommen. Zum Auftakt wollen wir uns den Hafen ansehen.
Schnüpi und ich sind schon vor fünf Jahren mal in Hamburg gewesen, und damals habe ich noch gekniffen, als es darum ging, eine Hafenrundfahrt zu machen. Wasser ist nicht so meins, und auf Schiffen schaukelt es doch so, und überhaupt, die haben bestimmt keinen rollstuhlgängigen Steg. Das waren meine fadenscheinigen Argumente, dabei hatte ich einfach Schiss. Schiss vor unbekannten Umständen, Schiss um den Rollstuhl.
Als wir an den Landungsbrücken entlang spazieren, sehe ich förmlich, wie sich die Frage in Schnüpis Gesicht zusammenbraut, ob wir dieses Mal eine Hafenrundfahrt unternehmen. Ich will nicht wieder der feige Spielverderber sein, darum sammle ich präventiv meinen Mut und schaue mir die Schiffe an. Die Barkassen sind zu klein und müssen regelrecht erklommen werden, die fallen schonmal aus. Die etwas größeren Schiffe hingegen liegen an einem Pier, den ich befahren kann. Na dann, Augen zu und durch!
Wir schaffen es ohne Probleme auf das Schiff. Ich brauche einfach etwas Zeit, um über den wackeligen Holzsteg zu fahren, und bin froh um ein paar stützende Hände bei der Schwelle. Ein Matrose in schnieker weißer Uniform, der die Tickets kontrolliert, hilft mit und redet mir beruhigend zu wie einem aufgescheuchten Tier.
Ich habe als Kind immer geglaubt, Hamburg liege am Meer, denn warum sonst hätte die Stadt so einen großen und bekannten Hafen? Auf der einstündigen Rundfahrt muss ich mir immer wieder vor Augen führen, dass wir uns in einem Flusshafen befinden, denn dies macht die Dimensionen all der Dinge, die wir zu sehen bekommen, umso eindrücklicher.
Wir fahren am Kreuzfahrtschiff ‚Aida‘ vorbei, dessen Rettungsboote schon fast so groß sind wie unser Rundfahrtsschiff. Wir schippern an Dutzenden von Kränen vorbei, die täglich tausende Tonnen Fracht umladen. Und wir sehen ein Containerschiff, dessen Anker selbst in den Konzertsaal des Luzerner KKL kaum passen würde.
Beim Aussteigen nehme ich Blickkontakt mit dem schnieken Matrosen auf, damit er mir wieder hilft, und er nickt freundlich. Wer schon einmal in einem vollen Pendlerzug von Luzern nach Zürich gesessen hat, der weiß: Der Mensch ist ein Herdentier und folgt einem ausgeprägten Stalldrang, wenn es ums Ein- und Aussteigen geht. Wer oft Bus fährt, der weiß: Im Rentenalter nimmt der Drang schon fast absurde Züge an. Und was für Bus und Bahn stimmt, das ist auf Schiffen nicht anders.
Der Matrose versucht vergeblich, mir etwas Platz zu schaffen. „Warten Sie doch kurz, bitte warten Sie, Sie wissen doch, *zwinker-zwinker* Frauen, Kinder und Rollstühle zuerst.“ Einzelne Leute halten zwar tatsächlich inne und schauen sich mit zusammengekniffenen Augen um, doch dann werden sie vom Strom der Herde weitergespült. Der Matrose zuckt mit den Schultern in unsere Richtung, doch wir winken ab. Wir haben es nicht eilig, und wenn wir als Letzte von Bord gehen, dann kann ich mir auf dem Holzsteg mehr Zeit nehmen.
Als Nächstes bummeln wir durch die Speicherstadt. Die altehrwürdigen backsteinroten Lagerhallen schlagen uns dermaßen in ihren Bann, dass wir doch glatt das Fotografieren vergessen und an dieser Stelle nur einen Google-Link anzubieten haben: Klicke hier
Alte Häuser liegen an altem Pflaster. Dies bekommen mein Rolli und ich schmerzlich zu spüren, denn auf einigen Straßen holpert und rattert es so sehr, dass ich mich dabei fühle wie ein Römer bei einer Befragung durch Obelix. Wir prüfen, ob noch alle Radschrauben sitzen, dann bewegen wir uns langsam in Richtung des nächsten Viertels, der Hafenstadt.
Nach dem antiksten Viertel Hamburgs kommen wir nun also ins Modernste, wo sich die Miet- und Kaufpreise der begehrtesten Bauten in einem Bereich bewegen, dass man die Nullen hintendran schluckend zweimal nachzählt. Der Bodenbelag ist perfekt hier, und wenn ich beim Fahren sprechen will, klinge ich endlich nicht mehr wie ein Säugling auf dem wippenden Knie seines Papas.
Wir kommen an einen Platz, wo gerade eine kostenlose Stand-Up-Comedy-Show beginnt. Schnell decken wir uns mit Fischbrötchen und Zimtstollen aus einer nahen Bäckerei ein und verfolgen das unverhoffte Spektakel. Die Comedians sind allesamt richtig gut, besser, als in vielen TV-Formaten. Einer reißt ein paar tolle Witze über Österreicher, und wir lachen laut mit, um unsere Anerkennung zu zollen. Seine Show geht weiter mit „Aber wisst ihr, wer noch schlimmer ist? Schweizer, ey, kennt ihr Schweizer?“, und wir essen demütig und still unsere Stollen zu Ende.
Danach geht’s zum Abendessen in die Europa-Passage, und dann zum Ausruhen ins Hotel. Am nächsten Tag werden wir den deutschsprachigen Raum verlassen und endlich nach Skandinavien vorstoßen!
Rolli-Pannen fern von zuhaus’
Früher, als E-Rollstühle noch fast auf dem technischen Niveau eines ferngesteuerten Autos standen, konnte man manche Defekte bei einem Auto- oder Fahrradmechaniker beheben lassen, und die Ferien gingen weiter. Heute, da E-Rollis schon eher einem Supercomputer gleichen, ist dies nicht mehr anzuraten. Zum einen verspricht das Ganze wenig Aussicht auf Erfolg, zum anderen läuft man Gefahr, die Versicherungsdeckung für das Gerät zu verlieren, wenn auskommt, dass unqualifizierte Arbeiter am Rolli rumgepfuscht haben. Mehr als einen platten Reifen würde ich unterwegs darum nicht mehr flicken lassen und im Zweifelsfall die Reise abbrechen.
Auf langen Reisen empfiehlt es sich, die englische Bedienungsanleitung mitzunehmen (oder zu wissen, wo man sie im Internet findet). Auch wichtig ist es, dass alle Begleiter wissen, wo am Rolli der Reset-Knopf ist, ob es eine manuelle Notbremse gibt und wie man den Stoßgang aktiviert.