Wir haben ein klar definiertes Tagesziel: Party an der Reeperbahn, um die Ferien so richtig in Schwung zu bringen. Doch bis es soweit ist, steht uns eine lange Autofahrt und eine weitere Runde Hotel-Roulette bevor. Und am Ende scheitert das Vorhaben beinahe an einem Liter gelber Flüssigkeit.
Der zweite Tag beginnt also mit einem Beton-Marathon. Wir stehen extra früh auf, um die 500 Kilometer von Frankfurt nach Hamburg schnell zu bewältigen und uns ins Vergnügen zu stürzen.
Nun ist es so: Früh aufstehen ist ein relativer Begriff, wenn es um uns geht. Es dauert knapp eine Stunde, bis ich angezogen und bequem im Rollstuhl sitze. Es dauert knapp eine weitere Stunde, bis wir Schnüpi vom üppigen Frühstücksbüffet loseisen können. Und bis wir schließlich gepackt, ausgecheckt und alles verladen haben, ist eine dritte Stunde verpufft.
Zwischen zehn und elf schaffen wir es endlich auf die Autobahn und fressen gierig Asphalt. Zwei Stunden lang läuft alles wie geschmiert, dann erreichen wir Göttingen. Die Strecke zwischen Göttingen und Hannover ist sowas wie die längste Baustelle der Welt, unterbrochen von einigen mickrigen Stücken Autobahn: Wir rollen. Wir stehen. Wir rollen. Wir jubeln, als die Baustelle zu Ende ist und alle Autos auf 130 km/h beschleunigen, dann ächzen wir, als fünf Minuten später alle runterbremsen, weil die nächste Baustelle folgt. Wir rollen erneut, stehen, rollen, jubeln und ächzen.
Um fünf Uhr erreichen wir unser Hamburger Hotel. Wenigstens erwartet uns hier keine böse Überraschung – das Hotel ist charmant und zweckmäßig, mit einer Rampe über die beiden Stufen beim Eingang. Wir werfen unseren Krempel in die Zimmer und stürzen uns ins Getümmel, denn Asphalt fressen macht durstig.
Hamburg ist eine der faszinierendsten Städte, die ich je gesehen habe. Jeder Stadtteil hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Subkultur, seine verborgenen Schätze. Doch wir sparen uns den Zauber von Speicherstadt & Co für den nächsten Tag auf, heute geht’s nach St. Pauli.
An der Reeperbahn treffen wir auf skurrile Gestalten. Ich mag das – ich bin selbst nicht gerade ein Vertreter des Mainstreams. Wir treffen aber auch auf völlig normale Leute und (zumindest bei Tageslicht) auf Familien, die dort flanieren. Wir haben sowas wie die längste Biermeile oder den größten Puff Europas erwartet, darum machen wir ganz schön Augen, hier Eltern mit ihren Kindern an Sexshops vorbei spazieren zu sehen. St. Pauli ist offenbar mehr als das Klischee ahnen lässt, und vor allem ist es mehr als bloß die Reeperbahn.
Wir bewundern Häuser und Leute, und irgendwann erinnern wir uns, dass wir Durst haben. Leider sind viele der Bars hier nicht rollstuhlgängig, und wir müssen ganz schön suchen, bis wir auf eine Kneipe stoßen, in die ich rein kann. Die Kneipe ist im Stil eines Schiffes gestaltet, mit Fischernetzen an den Wänden und Holzgeländern wie einer Reling. Endlich gibt es Bier!
Wenn man in der Schweiz ein kleines Bier gegen den kleinen Durst bestellt, erhält man in der Regel 3 dl. Als ich also gefragt werde, was ich möchte, sage ich naiver Tourist ‚ein Großes!‘ und erwarte 5 dl. Doch die Deutschen haben ein anderes Verständnis der Dimensionen von Gerstensaft, darum erhalte ich deutlich mehr, als mir lieb sein kann. Weil ich nicht allzu viel vertrage, setzt kurze Zeit später der Suff ein, was an sich kein Drama wäre. Unglücklicherweise bin nicht nur ich langsam voll, sondern auch meine Blase. Wer Gelbes oben reinschüttet, braucht sich nicht zu wundern, wenn unten wieder Gelbes raus will.
Wir müssen feststellen, dass die Toilette der Schiffskneipe zu klein für mich ist, darum brechen wir etwas überstürzter auf als geplant. Doch nun kommt die Krux: Wenn man in einem Stadtteil schon kaum eine rollstuhlgängige Bar findet, dann stehen die Chancen, ein Rolli-WC aufzutreiben, erst recht mies.
Es ist finster draußen, aber zurück ins Hotel wollen wir nicht – auf der Skala von ‚Feierabendbier‘ bis ‚Party‘ steht unser Ausflug noch nicht an der gewünschten Stelle. Wir folgen der Hauptstraße in der Hoffnung, weiter hinten werde es schon ein Rolli-WC haben. Wir schicken Flow als Späher in die Nebengassen, doch dort haben die Gebäude noch mehr Stufen und engere Türen. Irgendwann beschließen wir, es bis zur nächsten Bushaltestelle zu probieren, und falls sich nichts ergibt, aufzugeben.
„Kommse näher, kommse rein“, ruft der Werber eines Lokals in die Menge der Passanten, was ironischerweise den gegenteiligen Effekt hat: Die Leute weichen ihm in großem Bogen aus. „Kommse näher, kommse rein“, ruft er wieder und kürt uns zu leichten Opfern. „He, ihr da, habt ihr Durst? N’Bierchen für den jungen Herrn?“, sagt er zu Flow. „N’Cocktail für die Dame? Oder …“, er mustert mich, „… n’Sprudelwasser vielleicht?“ Ich fühle mich gekränkt, dass er mir bloß Wasser anbietet, und springe auf die Provokation an: „Wenn ihr ein Rolli-WC habt, trinke ich mich quer durch eure Sprudelwasserkarte.“
Er nickt enthusiastisch und erklärt, so eins hätten sie tatsächlich. Nachdem er uns den Weg gewiesen hat, kann ich mich endlich erleichtern, und der Kreislauf des Bieres beginnt von Neuem.
Ein Königreich für ein Rolli-WC!
In den Stadtplänen, die man auf dem Tourismusbüro erhält, sind die barrierefreien Toiletten meistens verzeichnet. Für den Fall, dass man den Plan nicht zur Hand hat, bieten manche Städte Handy-Apps an, die nicht nur WCs, sondern auch gleich barrierefreie Restaurants, U-Bahn-Stationen oder Sehenswürdigkeiten anzeigen. Auch die wheelmap.org ist wärmstens zu empfehlen.
Wenn man ohne Hilfsmittel wild drauflos suchen muss, hat man tagsüber die größten Chancen in Museen, Bahnhöfen und Einkaufszentren. Es lohnt sich, wenn man sich einmalig den Euroschlüssel beschafft, mit dem man Zugang zu über 12’000 barrierefreien WCs in ganz Europa erhält. Besonders nachts, wenn öffentliche Bauten geschlossen sind und man nirgends mehr nach einem Schlüssel fragen kann, ist der Euroschlüssel unverzichtbar.