Wir zahlen den Preis für einen ausgelassenen Abend und müssen bis weit in den Tag hinein im Bett bleiben. Als wir unseren Mägen und Därmen wieder vertrauen, reicht es immerhin noch für einen ‚typisch schwedischen Nachmittag‘. Rezeptionist Adam kümmert sich rührend um uns und löst auch das Rätsel um die plötzliche Reisekrankheit.
Rückblende: Am Abend von Tag sechs sind wir in der Hotelbar dem jungen Schweden Victor begegnet. Victor ist ein großer Bierliebhaber, und als wir das Getränkeangebot studieren, schaltet er sich beratend ein. Wir sind noch aufgeputscht vom Brückenausflug und freuen uns wahnsinnig, mit einem echten Schweden zu plaudern – wenn auch nur in Englisch, weil ihn unser dahingebröseltes Svenska in den Ohren zu schmerzen scheint.
Wir kosten das von Victor empfohlene Bier (‚Sista‘, was soviel heißt wie ‚das Letzte‘), und er erklärt, nur an wenigen Orten könne man dieses seltene und exquisite Bier bekommen. Es schmeckt tatsächlich ganz gut, allerdings wollen wir es nicht auf nüchternen Magen kippen. Darum bestelle ich diese Schönheit hier:
Räksmörgås – Crevetten-Sandwich – ist eine schwedische Spezialität. (Unter den Crevetten versteckt sich noch ein Roggenbrot.) Seit unsere Schwedischlehrerin von dieser Delikatesse gesprochen hat, habe ich nichts sehnlicher gewollt im Leben, als in sowas reinzubeißen. Dies erkläre ich auch Victor, während Schnüpi und ich das Sandwich verschlingen. Er verzieht schmerzlich das Gesicht und lässt mich etwa zehnmal Räksmörgås sagen, bevor er mit der Aussprache zufrieden ist.
Victor erklärt, Aussprache und Betonung seien in Schweden ein Politikum. Je weiter nördlich man komme, desto fanatischer wäre der Stolz der Leute auf ihren Dialekt. Als Jugendlicher habe Victor einige Jahre in der mittelschwedischen Provinz Dalarna gewohnt, und wenn man dort den Busfahrer gefragt habe, ob sein Bus nach XY fahre, dann habe der Fahrer knallhart Nein gesagt und einem die Tür vor der Nase zugeklappt, wenn die Aussprache des Ortes XY nicht seinem Gusto entsprach. Victor habe deswegen einmal drei Stunden in klirrender Kälte auf den nächsten Bus warten müssen.
Wir lauschen gebannt Victors Anekdoten, und nach dem zweiten Bier bestellt Flow für sich und mich White Russians – einen cremigen Cocktail, für den er ebenso starke Gefühle hegt wie ich für das Crevetten-Sandwich. Wir sprechen mit Victor über Sport, Politik und den bevorstehenden Nationalfeiertag. Am Ende gehen wir als Freunde auseinander.
In der Nacht schlägt dann die Reisekrankheit zu: Vor 500 Jahren haben die plündernden spanischen Eroberer Montezumas Rache auf sich herabbeschworen und sind im Dschungel Mittelamerikas an Durchfall und Erbrechen zugrunde gegangen. Das gleiche Schicksal droht nun Flow und mir, die wir unsere Körperflüssigkeiten nicht mehr so recht unter Kontrolle haben. Unsere Vorteile gegenüber den Spaniern: 1) Wir sind nicht im Dschungel. 2) Wir haben Schnüpi, die verschont geblieben ist und uns zur Seite steht. 3) Und wir haben Adam, den besten Rezeptionisten der Welt, der uns eine Katertablette empfiehlt, um den Kreislauf wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Gegen zwei Uhr schaffen wir es endlich in die sonnigen Straßen von Malmö. Geschwächt schlendern wir durch die Shopping-Meile und machen schließlich Rast in einer Bäckerei. Dort probieren wir Kanelbullar, die legendären schwedischen Zimtschnecken:
Wir begreifen nun, warum die Schweden so eine ausgeprägte Kaffeepausen-Kultur haben: Diese Zimtschnecken könnte man stundenlang in sich reinstopfen – was die Schweden auch tun. Fika heißt der schwedisch-finnische Brauch, mit Freunden ausgedehnte Kaffeepausen zu feiern und dabei Unmengen an Süßgebäck zu verzehren. Daran könnten wir uns gewöhnen.
Gestärkt spazieren wir weiter. Malmö ist eine Stadt, in der das Antike und das Moderne nebeneinander Platz haben und sich ergänzen. Beim zweiten Bild lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wie sich in der modernen Glasfront das alte Gemäuer spiegelt:
Im Gegensatz zu Kopenhagen ist das Pflaster in Malmö für mich angenehmer. Generell ist es eine rollstuhlfreundliche Stadt, in der sogar die Bäckerei einen elektrischen Türöffner für Rollifahrer hat. Und Schnüpi ist hellauf begeistert vom öffentlichen Rolli-WC, bei dem ein Waschbecken eingebaut ist, in dem man die Urinflasche ausspülen kann (normalerweise ist das ein elendes Gemurkse, den Flaschenhals unter den Wasserhahn zu klemmen).
Als wir ins Hotel zurückkehren, empfängt uns Adam und fragt nach dem Befinden. Er hat in unserer Abwesenheit mit den Leuten der Hotelbar gesprochen, und man hat den Grund für unser Leiden gefunden. Übeltäter waren nicht die Crevetten, sondern die Cocktails: Die Milch war hinüber.
Systembolaget – Alkoholprävention in Schweden
Schweden erhebt sehr hohe Steuern auf Alkohol. Entsprechend teuer waren unsere Biere und Cocktails. Dies ist aber nicht die einzige Maßnahme zur Suchtprävention: Wer als Privatperson Alkohol einkaufen will, kann dies nur in einem einzigen Geschäft tun, dem Systembolaget.
Der Bolaget ist ein staatliches Unternehmen ohne Gewinnorientierung, das den Verkauf von Alkohol nach strengen Regeln kontrolliert. Man kann dort z.B. nicht einfach ein Sechserpack Bier kaufen, da Mengenbündelung verboten ist. Auch Rabatte oder ähnliche Angebote sind nicht erlaubt. Entsprechend werden Käufer nicht dazu verführt, große Mengen Alkohol zu kaufen.