Die Reisekrankheit ist überstanden! Wir feiern mit den Schweden ihren Nationalfeiertag und lassen uns von ihrem schüchternen Patriotismus anstecken, bis wir die Hymne fast am lautesten mitsingen. Auf dem zum Fest gehörenden Handwerksmarkt können wir endlich mal mit unseren Schwedischkenntnissen brillieren.
Mit Heißhunger schreiten wir zu unserem ersten Frühstücksbuffet auf schwedischem Boden – gestern ist es ja krankheitsbedingt ausgefallen. Das Hotel lässt sich nicht lumpen: Es hat so viele Sorten an Säften, Brot, Fisch- und Eierspeisen im Angebot, dass wir uns absprechen müssen, wer was nimmt, damit wir von allem probieren können.
Schnüpi und ich wagen uns an die typisch schwedische Blaubeersuppe (blåbärssoppa). Diese traditionelle Suppe kann auf verschiedenste Arten zubereitet werden und ist je nach Rezept dünn- oder dickflüssig, süß oder sauer, warm oder kalt, erfrischend oder nahrhaft. Wir erwischen in dieser Suppen-Lotterie eine fruchtig-sanfte Version, die einem mit dem ersten Schluck schon die nötige Tagesration an Vitaminen zuführt. (Klicke hier für ein Beispielrezept)
Die Stadt ist festlich geschmückt für den Nationalfeiertag. Auf dem Stortorget (dem großen Marktplatz) hat man eine Festbühne errichtet, und freiwillige Helfer verteilen Schwedenfähnchen an alle Passanten. Schnüpi schwenkt die kleine Fahne so begeistert, dass sie sich glatt den nächsten Besuch im Fitness-Studio sparen kann:
Eine Blaskapelle spielt auf. Wir erwarten die Nationalhymne oder ein Lied von Abba und sind entsprechend überrascht, als zum Auftakt „I feel good“ von James Brown gespielt wird. Es folgt Beethovens „Freude schöner Götterfunken“, was jetzt auch nicht gerade als urschwedisch gelten kann. Ich beginne mich zu fragen, was auf dem Rütli los wäre, wenn man die Erst-August-Feierlichkeiten mit US-Pop und deutscher Klassik eröffnen würde, als es auf dem Stortorget auf einmal mucksmäuschenstill wird.
Ein Chor von Kindern ist auf die Bühne getreten. Mit glasklarer Stimme setzen sie zur Nationalhymne „Du gamla, du fria“ an (siehe Kasten am Ende). Die Menge lauscht andächtig, und manch einer der zurückhaltenden Nordländer zuckt mit der Fußspitze oder summt gar leise mit. Als nach der ersten Strophe das Orchester mit einstimmt und den Chor begleitet, kriegen nicht nur die Schweden Gänsehaut.
Dieses verwackelte Video hier wird der Stimmung zwar nicht gerecht, es lässt sie aber immerhin erahnen. Und wer bis am Ende durchhält, wird mit einer leidenschaftlichen Schlussnote von Schnüpi belohnt:
Die Kinder stapfen stolz von der Bühne, und als alle das Augenwasser abgewischt haben, dröhnt eine Festrede aus dem Lautsprecher. Nach fünf Sekunden begreifen wir, dass wir mit unserem begrenzten Wortschatz nichts davon verstehen werden. Also wenden wir uns den Ständen der Klein- und Kunsthandwerker zu, die am Rand des Platzes aufgebaut sind.
Die Souvenirs, die man hier anbietet, sind liebevoll hergestellt. Die meisten Verkäufer gehören älteren Generationen an und sprechen kein Englisch. Anders als bei Victor und Adam können wir also nicht auf neutralen englischen Sprachboden ausweichen, sondern müssen uns auf Schwedisch durchschlagen.
Und siehe da: Wenn’s muss, dann geht’s! Schnüpi und ich steigern uns in einen regelrechten Rausch hinein und feilschen mit der Marktfrau um einen Anhänger, einfach um des Feilschens Willen. Wie damals im dänischen Dönerladen fließt uns das Schwedisch nur so von den Lippen.
Beschwingt verlassen wir das Festgelände und erkunden die Sehenswürdigkeiten von Malmö. Es ist umstritten, was das Wahrzeichen der Stadt ist: Die Alteingesessenen sagen, es sei das „Malmöhus“, ein ehemaliges Schloss mit Parkanlage, das heute zu einem Museum umfunktioniert ist. Die Modernen hingegen sagen, es sei der „Turning Torso“ – ein sich drehendes Bürogebäude, das aus dem Rest der Stadt herausragt und Sinnbild ist für die blühende südschwedische Wirtschaft. Wir tendieren zu Tradition statt Moderne, besuchen das Malmöhus und fotografieren den Turning Torso wenigstens aus der Ferne.
Wir könnten wochenlang durch diese schöne Stadt flanieren. Doch da wir möglichst viele Facetten von Schweden sehen wollen, setzen wir uns für den nächsten Tag ein Ziel: Wir wollen ins Landesinnere fahren, die unberührte Natur erkunden und ein schwedisches Dorf fern der touristischen Zentren erleben. Das Ganze wird sich jedoch als gar nicht so einfach erweisen.
Die Nationalhymne Schwedens
Die Hymne Schwedens ist ein Lobgesang auf den Norden. Ihr Text ist sehr emotional und taut selbst kühlste nordische Herzen auf. „Du gamla, du fria“ verleiht dem sonst eher zurückhaltenden Nationalstolz Ausdruck, und es ist kein Zufall, dass es eines der am häufigsten neu-interpretierten Lieder Schwedens ist. Es existieren rockige, mystische, folkloristische und zahlreiche weitere Adaptionen der Hymne, sodass sich jeder Schwede und jede Schwedin in einer der Versionen wiederfindet.
Der Text der ersten beiden Strophen lautet auf Deutsch ungefähr so:
Du alter, du freier, du gebirgiger Norden,
du stiller, du freudenreicher Schöner.
Ich grüße dich, lieblichstes Land der Welt,
deine Sonne, deinen Himmel, deine grünen Wiesen.
Du thronst auf Erinnerungen an ruhmreiche Tage,
als dein Name voller Ehre über die Erde hallte.
Ich weiß, dass du bist und bleibst wie du warst,
ja, ich will leben und sterben im Norden.